Bild: Fernanda B. Viégas, Wikimedia, CC BY 2.0
EU – Meinungsfreiheit – Regulieren. Diese drei Vokabeln genügen, um bei manchen eine gewisse Alarmstimmung zu erzeugen. Hat nicht die EU mit dem Artikel 13, der Vorratsdatenspeicherung oder der geplanten Chatkontrolle immer wieder gezeigt, dass sie es mit den Bürgerrechten nicht so genau nimmt? Immerhin garantiert uns vor allem die Meinungsfreiheit ein Leben in Freiheit und Demokratie. Und von der EU geht bekanntlich der Großteil unserer – auch nationalen – Rechtsprechung aus. Da darf man schon mal etwas genauer hinsehen. Sollte man sich Sorgen machen?
Worum geht’s diesmal? EU-Kommission, -Rat und -Parlament planen bis zu den nächsten Europawahlen eine neue Verordnung zu politischer Werbung. Die ersten Entwürfe zeigen: Es geht um drei Aspekte der politischen Meinungsbildung in sozialen Netzwerken: Mehr Transparenz im Microtargeting, die Verwendung sensibler Daten für dieses Microtargeting und schließlich die Verstärkung politischer Meinungen durch automatische Empfehlungen.
1. Transparenz beim Targeting
Ziemlich sicher waren auch Sie schon mal Ziel von Targeting. Doch die wenigsten Nutzer*innen von Plattformen erfahren, welche Infos sie warum erreichen und wer dafür womöglich bezahlt hat. Und das soll sich ändern.
Social Media leben davon, dass sie uns kennen und dieses Wissen meistbietend verkaufen. Politische Kampagnen zielen heute oft darauf ab, genau maßgeschneiderte Inhalte an genau die richtigen Zielgruppen zu bringen. Um jemanden gut oder schlecht dastehen zu lassen. Um Fakten oder Wahlversprechen in verschiedene Richtungen verschieden darzustellen. Um Gruppen zu aktivieren oder zu entmutigen. Das kann seriös sein – aber es kann auch durchaus in Lügen, Angstmache oder massiven Betrug ausarten. Doch selbst eine Lüge kann von der Meinungsfreiheit gedeckt sein, damit muss eine Demokratie leben.
Ausdrücklich geht es daher bei dieser Regulierung nicht um Inhalte, sondern um die Transparenz: Darum, zu wissen, wer für die Verbreitung von Infos oder Meinungen bezahlt, wer finanziell und politisch hinter einer Aussage steckt. Auch die Informationen, wer warum was bekommt, aufgrund welcher Kriterien usw. könnten offengelegt werden. Vom bürokratischen Aufwand her ist das überschaubar – denn schließlich stellen genau diese Daten die Grundlage jeder Planung und Abrechnung dar. Und wer Lügen in die Welt setzt, kann sich nicht mehr als Drahtzieher im Hintergrund verstecken.
2. Verwendung sensibler Daten
Nun ist klar, dass Informationen über unsere politischen Ansichten, Gesundheit, sexuelle Orientierung etc. für Microtargeting hochinteressant sind. Eine politische Kampagne, die nach Gesinnung fein abgestimmt wird, ist der Traum aller Wahlkampfstategen – und derzeit eine Realität, gegen die die österreichische NGO Noyb klagt. Doch solche sensiblen Werte zu erfassen, soll nach der strengeren Vorlage des EU-Parlaments- verboten werden. Damit soll erreicht werden, dass die politische Kommunikation auf die gesamte Gesellschaft zielt und Wahlen nicht mit schmutzigen Tricks gewonnen werden. Ob dieses De-facto-Verbot von Microtargeting durchkommt, ist aber noch offen.
3. Verstärkung politischer Meinungen durch Empfehlungen
Als drittes Feld der geplanten Regulierung betreten wir das in Social Media essenzielle Feld der Empfehlungsalgorithmen. Welche Inhalte bekomme ich warum zu sehen? Hier besteht der Verdacht, dass eine Verstärkung (oder gar Radikalisierung) politischer Meinungen stattfindet, weil ich Gleiches zu einem Thema immer wieder serviert bekomme. Hier soll also vermieden werden, dass es dabei nicht immer extremer in eine Richtung geht. Das ist gut gemeint, aber hier geht es nun doch ans Eingemachte der Meinungsfreiheit. Denn es ist ja gut denkbar, dass ein politisches Thema mit gutem Grund viral geht, aber als „politisches Feld“ markiert nun von der Weiterverbreitung ausgeschlossen wird.
Abgesehen davon, dass diese Empfehlungsalgorithmen bei weitem komplexer sind, als man gemeinhin annimmt, wäre dies ein Eingriff in die Herzkammer der mächtigen und regulierungsunwilligen Plattformen. Mit Kriterien, die unscharf und hochumstritten sein dürften. Auch große YouTuber generieren drei Viertel ihrer Ausspielungen über Empfehlungen. Der EU darf man also viel Freude beim Ausformulieren wünschen – immer mit Blick darauf, ob das Ergebnis technisch umsetzbar ist und auch verfassungsrechtlich Bestand hat. Im schlechtesten Fall hätten wir eine Präzedenz für sensible Eingriffe, wie wir sie schon oft vonseiten der EU erlebt haben: Gut gemeint, aber letztlich nicht zu Ende gedacht.
Der „Wir sind die guten“-Bias
Und das ist eine Beobachtung, die man in den politischen Debatten immer wieder machen kann: Bei Vorhaben von hohem juristischem Rang wird zu wenig unparteiisch gedacht. Obamas Microtargeting fand viele Bewunderer, erst bei Trump sah man darin eine Perfidie. Am Anfang steht ein Schock (die Trump-Wahl, die Brexit-Lügenkampagne, das Bataclan-Attentat, der Überfall auf die Ukraine) und die Politik überlegt, wie man den Gefahren künftig begegnet. Eine wehrhafte Demokratie muss sich was trauen. Doch dabei wird die eigene Anfälligkeit für Korruption, Ideologien, Fehler oder Machtmissbrauch unterschätzt und nur eine Seite der Medaille betrachtet. Wenn die autoritäre Regierung in Ungarn irgendetwas Gutem dient, dann als Advocatus Diaboli: Sie steht für die Rückentwicklung einer Demokratie mitten in Europa und erst diese Möglichkeit macht die Leute nachdenklich.
So war in den Vorschlägen die Rede, Regierungsinformationen von der Einstufung als „politische Werbung“ auszunehmen. Die Idee ist verständlich, aber damit hätte die Opposition schlechtere Karten, über ein Thema zu informieren – und das kann niemand wollen. Was tun, wenn jemand genau diese Mechanismen nur für seinen Machterhalt einsetzt, gegen die Demokratie, gegen die Meinungsfreiheit?
Was die Regulierung des Microtargetings betrifft, dürfte da wenig Gefahr bestehen, wenn sie einigermaßen sauber ausformuliert wird. Bei der Beeinflussung von Empfehlungsalgorithmen entlang politischer Leitlinien könnte die Grenze dagegen zu unscharf sein.
Nicht betroffen: Influencer, Blogger & Co
Anders als der eine oder die andere Youtuberin es aufgefasst haben, ist die Verordnung kein Versuch, politische Meinungen zu regulieren oder gar zu verbieten. Auch wer mit seinen Videos Geld verdient, soll weiter seine Meinung zu Politik und Parteien äußern können, auch ohne der Transparenzpflicht zu unterliegen – solange er/sie nicht explizit für die politische Aussage bezahlt wird. Falls doch, so ist das natürlich relevant und auch gut zu erfahren, wer hinter dieser Aussage steht und sie finanziert.
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Links: Die derzeitigen Entwürfe der EU-Kommission, des Europäischen Rates und des Europaparlaments.