Die Welt erlebt eine Welle.

 

Die Welle hat viele Namen: Chauvinismus, rechter Populismus, Protofaschismus, Verachtung von Moral und Gemeinwohl, Hass gegen Benachteiligte, gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, Stolz auf Dummheit. Sie nennen sich Tea Party, Alt-Right, Brexit, Lega, Identitäre, Flügel oder besorgte Bürger.

Ihre sichtbarsten Symptome sind Regierungen, die aus einer ganz neuen Kaste von Politikern gebildet werden. Sie sind großmäulig, gewollt unkorrekt, anti-intellektuell, bewusst ignorant, offen korrupt, je nach Laune antisemitisch, antimuslimisch, antiliberal. Sie versuchen nicht einmal gute Politik zu machen, es genügt ihnen, wenn ihre Klientel begeistert ist und der Rubel rollt.

Entstanden ist diese Welle scheinbar aus einer gut geölten, sich ständig selbst bestätigenden Meinungsmaschinerie, die sich zu großen Teilen in den Sozialen Netzwerken abspielt. Es gibt Leute die diese Maschine gezielt füttern, die gelernt haben, was in diesem Kosmos gut funktioniert. Aber Trollfabriken und das Aussäen von perfiden Falschmeldungen wären machtlos gegen Netzwerke, die sich auf irgendwie rationale Weise selbst korrigierten. Das tun sie aber nicht.

Wie also genau ist der Nährboden entstanden? Ist es ein brauner Sumpf, der schon immer da war und sich hier artikuliert? Oder sind es die Social Media, die dieses dunkle Gebräu erst zum gären bringen? Ist das Medium die Botschaft, wie Mashall McLuhan einst formulierte? Oder haben wir es mit einer neuen Form von Demokratie zu tun – deren Ergebnisse uns einfach nicht gefallen?

 

Die Geschichte der Medien kann man beschreiben als eine Geschichte von ideologischen Besetzungen.

 

„Das Fernsehen verdummt uns.”
„Die Presse lebt in einer linken Filterblase.“
„Bild lügt.“
„Facebook polarisiert unsere Gesellschaft.“
„Muslime radikalisieren sich über YouTube.”
„Ganz Deutschland hört den Führer.“

Öffentliche Meinungsräume werden durch Medien geschaffen und geprägt. Als Ideenträger könnten Medien ja zunächst weltanschaulich neutral sein. Auf geheimnisvolle Weise scheinen sie aber durch ihre Beschaffenheit bereits Tendenzen in sich zu befördern: Sie selbst verändern mitunter unsere Werte, Normen und Handlungsweisen. Und dann ist da einfach die Frage: Wem gehört die Revolution? Wer ist brutal und anmaßend genug, sie sich zu eigen zu machen?

Zu verschiedenen Zeiten haben verschiedene Medien einen unterschiedlichen Charakter ausgebildet: einen aufklärenden oder abstumpfenden, radikalisierenden oder vermittelnden, progressiven oder rückschrittlichen. Wenn uns dieser Charakter nicht gefällt, neigen wir dazu, dem Medium die Schuld zu geben. „Facebooks Algorithmen befeuern alles, was uns emotionalisiert – Hass, Skandale, Sensationen.“ – Das ist zutreffend und das sollte sich ändern! Doch ganz so einfach sollten wir es uns nicht machen.

Denn neben der inneren Verfasstheit eines neuen Mediums war es immer auch ein Ringen um die Inhalte, die über den Fortgang der Geschichte bestimmt haben. Ein Blick in die Mediengeschichte macht sichtbar, wie noch jedes neue Medium auf eigene Weise ideologisch besetzt wurde und seine eigene (implizite oder aufgezwungene) Ideengeschichte durchlebt hat. Wer möchte, kann sich das hier nach Gusto im Detail anschauen – danach geht es weiter im Text.

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Bänkelsänger und Songlines: Oral Culture

Irgendwann in den letzten 300.000 bis 60.000 Jahren begann der Mensch zu sprechen. Worte beschreiben die Welt in tradierten Begriffen. Redewendungen, Lieder oder Reime verstärken den Effekt und helfen, komplexere Dinge zu merken. Die so entstehenden Meme können sehr dauerhaft sein, vor allem, wenn Sprache das einzige Medium ist, in dem Wissen weitergegeben wird. Grimms Märchen geben einen Eindruck davon. Von den australischen Aborigines kennen wir die Songlines, die eine eine mythische Karte ganz Australiens im Gedächtnis verankern. Bänkelsänger hatten bis ins 19. Jahrhundert hinein die Funktion, auf unterhaltsame Weise Geschichten und Neuigkeiten zu verbreiten. Bei aller Tradition hat Oral Culture etwas Anarchisches – die Gedanken sind frei. Spott und Aufruhr finden darin ebenso statt wie Konservatismus.

Bildung ist Macht: Die Schrift

Schrift ist eine alte Kulturtechnik, doch erleben wir ständig, wie recht mühsam sie weitergegeben werden muss. Gesellschaften, die nur das Nötigste haben, können das oft nicht leisten. So kann man davon ausgehen, dass über den größten Teil der Menschheitsgeschichte die Schrift ein Medium der gebildeten und Herrschenden war. Das ungebildete Volk konnte nur staunen über die überlegenen Kenntnisse und Definitionsmacht der Schriftgelehrten. Schamanen und Heiler, Religionen und staatliche Verwaltungen bedienten sich der Schrift, um ihre Macht zu zementieren. Gleichzeitig sind die schriftlichen Zeugnisse der Vergangenheit unfassbar wertvoll für unser heutiges Verständnis der Geschichte. Was die Renaissance über den Umweg der arabischen Archivare aus der Antike erfuhr, wurde zum Ausgangspunkt einer philosophischen Erneuerung, wie sie die Welt noch nicht erlebt hatte.

Revolution und Kontrolle: Der Buchdruck

Je einfacher die Reproduktion von Schriften wurde, desto dynamischer und unkontrollierbarer wurde die Verbreitung der darin gefassten Ideen. Die Reformation, aber auch die Verbreitung des Antisemitismus in Europa hätten ohne den Buchdruck in dieser Form nicht stattgefunden. Das komplett religiös geprägte Bewusstsein des Mittelalters wurde konfrontiert mit neuen Antworten – von der Lutherbibel bis zum Hexenhammer. Da ein Pluralismus in diesem Klima undenkbar war, versank Europa im Kampf um den gültigen Glauben, der zudem gnadenlos vor den Karren feudaler Machtinteressen gespannt wurde. Erst Friedrich II. von Preußen befand endlich, es solle doch „jeder nach seiner Fasson selig“ werden. Das Buch wurde zum Aufklärer, unterlag aber auch der Zensur. Bücher von Shakespeare oder Balzac, Darwin oder Marx, Heine oder Neruda wurden Meilensteine der Kulturgeschichte.

Spread the news: Zeitungen, Flugblätter und Plakate

Indem Papier (etwa ab 1600) in größerem Maßstab hergestellt wurde, wurden Drucksachen für jedermann erschwinglich und dabei auch aktueller und diverser. Karikaturen, Agitation und meinungsstarke Kommentare waren die Folge. Zeitungen boten Information und entwickelten ein journalistisches, oft aufklärerisches Selbstverständnis. Das Ringen um die gültige Interpretation der Wahrheit wurde zum lebhaften Tagesgeschäft. Nicht selten sprach die staatliche Zensur ein Machtwort. Und ebenfalls nicht selten ergab sich ein Spannungsfeld zwischen eher progressiv gesinnten Redaktionen und den stramm konservativen Besitzern ihrer Zeitungen.

Dokument und schöner Schein: Die Fotografie

Einen Gegenstand objektiv abzubilden und dennoch nur einen Ausschnitt der Welt zu zeigen, das ist das Paradigma der Fotografie. Eine Manipulation kann schon die Auswahl des Motivs sein. Oder der Moment: Boris Johnson stellt beim Staatsbesuch unverschämt seinen Fuß auf ein Tischchen im Elyseé. Das Bild bleibt hängen, doch zeigt es nur ein winziger Moment eines albernen Scherzchens unter mächtigen Männern im Blitzlichtgewitter. Auch Retuschen waren von der ersten Stunde der Fotografie Gang und Gäbe. So währte ihr Ruf als objektiver Beweis nicht lange und doch prägten wirkungsvolle Fotos (z.B. aus Kriegsreportagen) immer wieder die gesellschaftliche Debatte.

Das Orchester aus der Dose: Die Schallplatte und Co.

Nach der Alleinherrschaft des (gedruckten) Wortes bot die Tonaufnahme ein ganz neues mediales Feld. Es sollte vor allem der Musik gehören und verbreitete quasi auf Knopfdruck Behaglichkeit, Besinnlichkeit, gute Laune und eine ganz eigene Art von Erotik. Wer glaubte, diese Art der Unterhaltung sei harmlos und wertfrei, sah sich ab den 1920er Jahren eines Besseren belehrt: Jazz wurde zum treibenden Faktor eines neuen Lebensgefühls. Die Jugendbewegungen der 1950er bis 80er-Jahre wären ohne im industriellen Maßstab verbreitete Musik kaum denkbar.

Der Stoff aus dem die Träume sind: Der Kinofilm

Kaum etwas ist reizvoller für die menschliche Sensorik als bewegte Bilder. Der Jahrmarktspaß Kino mauserte sich in wenigen Jahren zur Nachrichten- und Traumfabrik mit mächtigem Potenzial. Die Glaubhaftigkeit und Einprägsamkeit dessen, was man mit eigenen Augen sah – und bald auch mit eigenen Ohren hörte – war überwältigend. Vom Lagerfeuer in den Kinosaal verlagerte sich das Erzählen von Geschichten; das Kino wurde zum Schnittpunkt aller Künste. Dabei wurden Werte, Haltungen und Wahrheiten subtil verpackt. Mehr oder weniger staatlich gesteuert und gefördert entwickelten sich zuerst Hollywood und Babelsberg, dann Südeuropa, Bollywood, Japan oder China zu eigenständigen Schulen mit eigener ideologischer oder weltanschaulicher Prägung.

Die Stimme der Welt: Das Radio

Der ideologische Kampf um dieses Medium ist beispielhaft für das Internet (mehr darüber hier). Denn auch hier waren die technischen Hürden, um auf Sendung zu gehen, vergleichsweise gering. Die Idee einer staatlichen Lizenzvergabe war ursprünglich alles andere als selbstverständlich. Erst nach massiver Einflussnahme konservativer Kreise konnte das revolutionäre Potenzial des neuen Mediums gebannt werden. Die Gleichschaltung des Rundfunks in Nazideutschland (auf das Hören von „Feindsendern“ drohte manchmal die Todesstrafe) ist ein Sündenfall, der die Mediengeschichte nachhaltig beeinflusst hat. Das Prinzip der freien Presse und eines öffentlich-rechtlichen Rundfunks (öffentlich kontrolliert, aber der Regierung nicht verpflichtet, etwa nach dem Vorbild der BBC) gelten seitdem als Merkmal liberaler Demokratien.

Flimmerkiste zwischen Bildung und Faszination: Das Fernsehen

Das Kino für Zuhause konnten sich anfangs nur wenige leisten, doch spätestens seit Mitte der 1970er-Jahre gehörte Fernsehen zu jedem Haushalt. Die hohen Produktionskosten bestimmten das Medium: Eine enge staatliche Kontrolle mit entsprechender Agenda (je nach System liberal oder totalitär), der strenge Blick auf die Einschaltquoten und die bald obligatorische Werbung prägten das gesendete Programm – und damit die Gesellschaft. Bildungsprogramme wie die Sesamstraße oder Dokus standen oft trashiger Unterhaltung gegenüber. Je kommerzieller es zuging, desto mehr schien das Niveau zu sinken. Der heute etwas veraltete Anspruch des öffentlich-rechtlichen Fernsehens, zu bestimmten Sendezeiten die relevanten Inhalte unters Volk zu bringen, wirkt auch im Internet-Zeitalter noch fort.

Gelenkte Information: Manipulation, Werbung und Propaganda

Gesteuerte (Des-)Information ist so alt wie die Menschheit. Doch im Zeitalter der Massenmedien hat sich daraus eine Wissenschaft entwickelt, die Medien nicht nur nutzt, sondern zu einer eigenen Kategorie wird. In Werbe- und Kommunikationsagenturen wird ein überzeugendes Framing für Produkte und Meinungen erarbeitet. In ihren totalitären Pendants, in den Propagandaministerien, Geheimdiensten und Trollfabriken geht es entsprechend robuster zu. Solange transparent ist, woher und in welchem Interesse eine Botschaft kommt, ist der Schaden überschaubar. Doch je politischer und konspirativer es wird, desto größeres Misstrauen entsteht. Verschwörungstheorien haben ja nun mal den Hintergrund, dass sie sich – von Stalin bis George W. Bush – auf haarsträubende Beispiele berufen können, in denen Verschwörungen tatsächlich die Informationspolitik bestimmten.

Austausch in Echtzeit: Telefonie und Internet

Fernsprecher, Hypertext, E-Mail und SMS haben unsere Art zu kommunizieren gründlich verändert und beschleunigt. Newsgroups und Foren, Tauschbörsen und Websites, Vergleichsportale und Dating – der Paradigmenwandel ist mannigfaltig. Als Beispiel genannt seien hier nur die Aufhebung des Sender-Empfänger-Prinzips und die sofortige globale Verfügbarkeit von Information für alle. Im Netzwerk des Informations- und Gedankenaustausches, dem World Wide Web, haben sich Meinungsräume, Schwarmintelligenz oder gar ein „Weltgeist“ gebildet. Verbunden damit waren große Hoffnungen auf Emanzipation, Bildung, Demokratisierung, auf Transparenz und eine smarte Steuerung unserer Welt. Sie haben sich zu einem Teil sogar erfüllt.

 

Kakophonie im Meinungsraum: Social Media

Die Verbreitung von Social Media waren dem Internet eine eigene Versionsnummer wert: Man sprach vom Web 2.0. Zunächst war es dominiert von einer smarten und idealistischen Jugend, die neue Formen des Austausches einübte und überwiegend Spaß dabei hatte. Doch bald entbrannte, in Wechselwirkung mit dem Aufstieg der Rechtspopulisten, ein ideologischer Kampf um die Besetzung der Sozialen Netzwerke. Verschwörungstheoretiker, Reichsbürger, Rechtspopulisten und Antisemiten kaperten die Foren und gegen sie scheint bis heute kaum ein Kraut gewachsen. Schließlich finden in diesem Milieu auch hauptberufliche Erfinder von Fake-News, Hetzer und Trollfabriken einen fruchtbaren Nährboden. Initiativen wie HateAid, Ich bin hier, correctiv.org, factcheck.org, OCCI u.a. gehen den mühevollen Weg, die virtuellen Straßen und Plätze zurückfordern. (Eine Übersicht solcher Intiativen findet man hier.)

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Bei allen Unterschieden – eines haben alle Medien gemeinsam:

 

Es gewinnen diejenigen Botschaften, die uns berühren, aufwühlen, unterhalten und / oder schlüssige Erklärungen bieten. Das ist kein Phänomen der Boulevardpresse oder der Sozialen Netzwerke, sondern das ist es, worauf wir Menschen nun mal reagieren. Wer den Meinungsraum dominieren will, hält sich an diese Gesetze.

Als Barack Obama in seinem Wahlkampf die Social Media zum Rückgrat seiner Kampagne machte, waren viele euphorisch über die neuen (im Doppelsinn) „demokratischen Möglichkeiten“. Konservative und Rechte, Leute wie Murdoch, Bannon, Prigoschin haben diese Arena erst etwas später betreten, besetzen sie jetzt aber mit Macht.

Und wie dazumal tun Konservative und Rechte halt, was Konservative und Rechte tun: Erstere halten am Status Quo fest. Und Letztere schüren Ressentiments, um ihre identitäre Agenda durchzusetzen. Die Sozialen Netzwerke sind dafür ein äußerst effektiver und wirkmächtiger Resonanzboden. Doch es nützt da kein Jammern: Es ist an uns Aufklärern, Liberalen und Linken den Rechtspopulisten diesen Boden – vor allem mit klugen Inhalten – streitig zu machen.

Und ja: Daneben sollten wir sehen, ob wir am Zustand der Medien etwas verbessern können, an den Strukturen und Algorithmen, damit sie nicht die niedersten Instinkte in uns bedienen, sondern Erkenntnis und Common Sense fördern. Auch Bildung und Medienkompetenz können und müssen helfen (Stichwort: Anti-Bias-Education). Doch daran, wie Menschen reagieren, wie sie grundsätzlich durch alle Medien verführbar und radikalisierbar waren und sind, werden wir nichts ändern.

Die Frage, was zuerst da war, die Henne oder das Ei, wird weniger interessant, wenn man das Zusammenspiel einmal verstanden hat.

 

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Links: HateAid, Ich bin hier, correctiv.org, factcheck.org, OCCI und weitere Initiativen engagieren sich gegen Hassrede im Netz.

Beitragsbild: CC-BY 2.0 Fibonacci Blue

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