Zum Einstieg eine Geschichte und ein Quiz.
Die Geschichte hat jeder von uns so ähnlich schon erlebt: Nachdem ich zwei Jahre lang vor jeder Taxi-Bestellung von einer freundlichen Stimme ermuntert wurde, doch eine Taxi-App zu benutzen, mir dann noch ein Taxifahrer eine entsprechende Karte zusteckte, habe ich es ausprobiert.
Das Ergebnis war umwerfend. Okay, ich musste zuerst mal meine Daten eingeben. Ansonsten hatte ich schon nach einer Minute angenehmster Benutzerführung nicht nur ein Taxi bestellt, ich sah auch, wer der Fahrer ist und von wo er sich gerade meinem Standort nähert. Dieser wusste Bescheid, wer ich bin, wo ich hinwill und dass er bitte an der Straße warten und weder Klingeln noch wegfahren sollte. Unnötig zu sagen, dass man mit der App auch Bargeldlos zahlen kann, inklusive Trinkgeld nach Wunsch. Eine Killer-App, ich werde nie mehr die Wartemusik der Taxi-Hotline hören … Wo sollte diese Sache einen Haken haben?
Der Haken an der Geschichte,
sozusagen die Netflix-Variante, sieht so aus: XY sitzt mit Schürfwunden im Gesicht in einer Gefängniszelle und hört, wie der Taxifahrer nebenan drangsaliert wird. Weil sein demokratisch gewählter Präsident die Anhänger seines früheren Mitstreiters, eines gewissen Herrn Gülen, mit religiösem Eifer verfolgt. Weil er das Pech hatte, in der Türkei zu leben und auf eine dumme Weise in den Verdacht zu geraten, ein besonderer Unterstützer von Herrn Gülen zu sein, auf dem Weg zu einem wichtigen Termin. Und Taxifahrern erzählt man ja gern mal was …
Ersetze „Türkei“ nach Belieben mit China, Russland, den USA und „Gülen“ mit dem Dalai Lama, Pussy Riot oder Edward Snowden. Klingt unrealistisch? Ich selbst bin als junger Mann einmal in den Verdacht geraten, Terroristen zu unterstützen – was nicht der Fall war. Das hatte zwar damals, 1985, nichts mit Daten zu tun, war aber – selbst in den geordneten demokratischen Verhältnissen der Bundesrepublik Deutschland – eine ziemlich krasse Erfahrung.
Und es stimmt, die Missachtung von Rechten liegt in dieser Geschichte nicht in der Erhebung von Daten. Sie liegt in der unrechtmäßigen Inhaftierung und der Anwendung von Gewalt. Warum also sich sorgen, wenn man nichts zu verbergen hat? Nun, manche Leute haben mit gutem Recht Dinge zu verbergen, aus Gründen, die du unterstützen würdest. Und auch du hast gute Gründe, deine Daten nicht an wildfremde Personen weiterzugeben.
Dieser Ausgang ist hoffentlich eine unrealistische Dystopie. Denn zum Glück gibt es Datenschutz. Zum Glück kann ich davon ausgehen, dass die Daten meiner Apps – aller Apps aller Menschen – NICHT alle an einer Stelle von KI ausgewertet und zu einem gläsernen Modell all unserer Aktivitäten und Interessen verbunden werden. Dass niemand die Macht und das immense Erpressungspotenzial besitzt, alles über alle zu wissen. Oder?
Nun das Quiz:
„Wir töten Menschen auf der Grundlage von Metadaten.“
– wer hat’s gesagt?
A: Muammar al-Gaddafi
B: Xi Jinping
C: Michael Hayden
Es war natürlich der letztere, Direktor der NSA bis 2005, in einem bemerkenswert offenherzigen Statement. In China wäre so eine Aussage ebenso zutreffend, aber eher unwahrscheinlich. Und arabische Despoten verfügten zu Gaddafis Zeiten zwar schon über Leichenschredder, aber nicht über die ausgefeilten Überwachunsgs-instrumente, die sie erst in den letzten Jahren von europäischen und US-Firmen hinzugekauft haben.
Ich gebe zu, das klingt alles drastisch. Es geht mir darum, hier eine Lanze zu brechen für das ganz grundsätzliche Recht, über den Umgang mit unseren – präziser: den durch uns erzeugten – personenbezogenen Daten zu bestimmen. Für Mechanismen, die uns vor einer unwissentlichen Totalausspähung schützen. Denn weder Hacker, noch IT-Konzerne noch Staaten wollen immer unser Bestes. Und eine Gesellschaft lebt auch von Opposition, wenn sie auf Dauer zukunftsfähig sein will.
Menschenrechte ändern nicht alles.
Dies ist nur ein Beispiel für digitale Grundrechte – eines, das mir besonders am Herzen liegt. Ein anderes beschäftigt sich mit der Ausgrenzung von Menschen, die keinen Zugang zu IT haben. Ein anderes mit der Sicherheit von demokratischen Wahlen usw.
Menschenrechte ändern nicht alles. Aber man anfängt, über sie zu sprechen und sie eines Tages beschließt, setzt man Standards, an denen sich Staaten und Regierungen in Zukunft messen lassen müssen. Deshalb ist mir dieses Thema besonders wichtig. Deshalb, um das zu promoten, mache ich diesen Blog.
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