Soll man Trolle füttern? Die Fraktionen des Bundestages haben guten Grund, dies nicht zu tun. Die 16 Fragen, für die derzeit von Klimawandelleugnern Unterschriften gesammelt werden, sind Fake-Fragen. Sie fußen auf wissentlich falschen Prämissen. Sie zeigen eine solche Renitenz gegenüber dem breiten Konsens zur Klimakrise, dass man mit Recht sagen kann: Wer solche Argumente aufführt, dem ist nicht zu helfen. Man muss nicht noch den Letzten überzeugen, um entschlossen zu handeln. Die Maxime „Don’t feed the Trolls“ wäre also angebracht.
Doch gibt es da auch die Unterzeichner, die sich ködern lassen. Sie unterschreiben aus Wut gegen die Zumutungen der Energiewende. Und sie bestärken sich gegenseitig in dem Gedanken, dass es sich hier um eine große Verschwörung handelt. Dass es in Wahrheit um Lobbyinteressen geht oder um eine kollektive Hysterie, angezettelt wahlweise von der Großindustrie oder linken Spinnern. Ein beliebtes Argument, wenn die Fragen unbeantwortet bleiben, wird nun sein: „Sehr ihr, da seid ihr mit eurem Latein am Ende.“ Die Fragen träfen derart ins Schwarze, dass man sich um eine Antwort nur drücken könne. Eine Filterblase, in der man schön in eine Parallelwelt abdriften kann, die nahtlos bis zu Reichsbürgern und Flacherdlern reicht.
Verschwörungstheorien habe ich gefressen.
Manchmal kann ich mich auf Twitter nicht zurückhalten und halte dagegen an. Die Fakten sind oft nach einer Minute Recherche eindeutig zu widerlegen. Ein Hobby, das keinen Spaß macht und ich weiß auch nicht, ob es die Welt besser macht. Man möge mir verzeihen. Besser wäre es, das auf dem Marktplatz in persönlichen Gesprächen zu machen, wo die Diskutierenden etwas mehr auf ihre Würde achtgeben. Aber ich denke dann, wenn es ein paar Leute innehalten lässt und ihnen das Wesen von Verschwörungstheorien sichtbar macht, ist das ein Stück von der Medienkompetenz, für die wir uns als Lösungsansatz so stark machen.
Man muss absolut kein Klima-Spezialist sein, um zu sehen: Die 16 Fragen sind absolut durchsichtig, desinformierend und – man recherchiere mal die Erstunterzeichner – ganz offenbar von querulantischem und wirtschaftlichem Interesse geleitet. Aber gerade weil ich kein Klimaaktivist bin und kein Politiker, der Gefahr liefe, diese dubiose Initiative durch seine Antworten noch aufzuwerten, habe ich mir diese 16 Fragen mal vorgeknöpft und sie aus dem Wissensstand eines einigermaßen informierten Laien beantwortet.
Allerdings – ganz sicher würden die Autoren das hier alles zerpflücken. Argumentativ sind sie für so eine Kampagne überraschend schwach, aber Trollen fällt immer etwas ein. Und sei es, dass sie seriöse Quellen infrage Stellen („Diese Öffentlich-Rechtlichen! GEZ – da platzt einem gleich die Hutschnur!“), persönlich werden oder mit den Fingern in den Ohren laut singen.
Dennoch, vielleicht gäbe es am Ende einige Gutgläubige Leute weniger, die ihnen das kritiklos abkaufen?
Hier also meine Antworten, die wirklich jeder Gymnasiast mit einem Internetanschluss geben könnte. Ernst zu nehmende Korrekturen sind natürlich willkommen!
Die desinformierenden und suggestiven Herleitungen der Fragen (und nur darum, diese zu promoten, geht es der Kampagne) habe ich hier nur knapp zusammengefasst, wer will, kann sie sich hier zu Gemüte führen.
- Zum Unsicherheitsfaktor von Vorhersagen:
Wie wollen Sie angesichts der geschilderten Umstände die Einhaltung eines bestimmten Klimaziels sicherstellen, wenn doch verlässliches Wissen über zukünftige klimatische Entwicklungen prinzipiell nicht erworben werden kann?
Die geschilderten Umstände sind bewusst falsch wiedergegeben. Der Zusammenhang von Klimawirksamen Gasen und dem Anstieg der Durchschnittstemperatur ist theoretisch und durch Messungen hinreichend gut belegt.
. - Die Wissenschaftlichen Ergebnisse seien kontrovers:
Erkennen Sie diese Aussage an? Falls nein, bitten wir um die Angabe von Gründen.
Es gibt im Detail Unsicherheiten, aber das Gesamtbild ist so eindeutig und der zu erwartende Schaden so immens, dass ein Zuwarten, bis auch der letzte Leugner überzeugt ist, nicht verantwortet werden kann. Daran wird auch Ihre Desinformation nichts ändern.
. - Zu abweichenden Veröffentlichungen:
Sind Ihnen die genannten Erklärungen mit ihren Inhalten bekannt?
Ja. (Also, das würde ein durchschnittlich informierter MdB schreiben, weil er sich die Studien angesehen hätte und wüsste, wie beliebt diese bei notorischen Klimawandelleugnern sind.)
. - dazu:
Wen haben Sie zu Ihrem eigenen Verständnis und zu Ihrer Auseinandersetzung mit den dortigen Feststellungen für Ihre Entscheidungsfindung konsultiert?
Die Rund 20.000 jährlichen Studien von hart arbeitenden Fachleuten, die im Gesamtbild die genannten Eingaben (so sie nicht längst kompromittiert sind) restlos entkräften.
. - Der Meeresspiegel steige nur ganz langsam und gleichmäßig, das sei kein Problem.
Werden Sie ungeachtet dieser Prognose Ihren klimapolitischen Entscheidungen gleichwohl die Ansicht zugrunde legen, dass Inseln und Küstenstädte wegen des Klimawandels im Meer zu verschwinden drohen? Falls ja: Warum? Und: Welche Inseln und welche Küstenstädte genau würden nach Ihren Annahmen bei einem völligen Ausbleiben von Klimaschutzmaßnahmen in Deutschland bis wann mit Sicherheit von Meerwasser überflutet?
Ihre Prognose ist falsch. Der Anstieg beschleunigt sich und würde bei Einhaltung des Pariser Abkommens voraussichtlich 1 m bis 2300 betragen, andernfalls ca. 4 m. Die Einhaltung des Abkommens ist ambitioniert und wird durch Aktivitäten wie Ihre nicht gerade gefördert. Die betroffenen Orte weltweit können Sie sich hier ansehen.
. - Die Anzahl der Toten durch Klimafolgen gehe zurück, bedingt durch Wohlstand und Schutzmaßnahmen:
Falls Sie der Auffassung sein sollten, dass die Anzahl der klimabedingten Todesfälle entgegen diesen Statistiken gleichwohl gestiegen sei oder akut messbar zu steigen drohe: Auf welche Tatsachen stützen Sie Ihre diesbezüglichen Kausalitätserwartungen?
Hungersnöte sind z. B. in der gezeigten Statistik nicht enthalten. Durch extreme Trockenheit und Erosion infolge von Starkregen werden landwirtschaftliche Nutzflächen weniger. Und selbst, wenn es Menschen immer wieder gelingt, durch technische Maßnahmen große Katastrophen abzuwenden, so stehen die damit verbundenen Risiken und der Ressourcen-Verbrauch in keinem Verhältnis zum Aufwand eines klimaneutralen Wirtschaftens.
. - Deutschland verursache nur einen kleinen Teil der globalen Emissionen. Warum sollten gerade wir handeln?
Wie wollen Sie andere Industrienationen, insbesondere die Hauptemittenten von Kohlendioxid, also China, die USA, Indien, Russland und Japan, in Zukunft davon überzeugen, dem deutschen Vorbild einer Energiewende zu folgen, die fossile Primärenergieträger ebenso ächtet wie die Kernenergie?
Alle Länder des Pariser Abkommens haben sich zu Maßnahmen verpflichtet, auf deren Einhaltung die Weltgemeinschaft dringt. Auf lange Sicht wird es sich lohnen, bei der Einführung erneuerbarer Energien voranzugehen – durch Technologie-Vorsprung, Energieeinsparungen, geringere Abhängigkeiten vom Ausland und ein international verbessertes Image. Dieser Effekte gelten auch für andere Staaten.
. - Die Energiewende sei sehr teuer und brächte wenig Effekt:
Möchten Sie trotz dieser Erkenntnisse an der „Energiewende“, also an der einseitigen Umstellung der Stromversorgung auf die volatilen Quellen Windkraft und Photovoltaik festhalten? Falls ja, warum?
Die von Ihnen zitierte Statistik weist, einen weltweiten EE-Anteil von nicht 1,8 sondern 13,8 % aus (Biomasse, Wasser, andere EE). China will bis 2030 einen EE-Anteil von 20 % erreichen. Kohle und Atomkraft werden in Deutschland mit bedeutend höheren Steuergeldern versteckt subventioniert, als die (für alle sichtbare) EE-Umlage zusammenbringt. Und darin sind die langfristigen Folgekosten der fossilen Energieträger noch nicht enthalten. Auch die politischen nicht (Öl, Gas, Atomkraft). Sie gehen also von bewusst irreführenden Prämissen aus. Wir halten an einer Umstellung auf dezentrale Erneuerbare fest und arbeiten daran, das Problem der Volatilität durch neue Technologien (Energiespeicher Wasserstoff u. ä.) zu beheben. Hierin liegt die Zukunft – und das stärkt auf lange Sicht auch unseren Standort und die Lebensqualität in Deutschland und Europa.
. - dazu:
Wie beabsichtigen Sie, ab 2022 – nach Abschaltung der Kernkraftwerke und der ersten Kohlekraftwerke – den Strombedarf in der Grundlast zu erfüllen?
Das können Sie hier oder hier nachlesen.
Oder recherchieren Sie das selber mal, Sie schaffen das.
. - dazu:
Warum berücksichtigen Sie Technologien zur Abscheidung, Speicherung und Nachnutzung von Kohlendioxid aus Verbrennungsprozessen („CCS“) nicht, obwohl mit solchen emissionsfreie Kohle- und Gaskraftwerke möglich sind?
Vielleicht, weil es hier völlig ungeklärte Risiken einer ungewollten Freisetzung gibt? Es gibt bessere Alternativen. Gegenfrage: Warum hängen Sie so an der Kohle? Wessen Interesse vertreten Sie?
. - dazu:
Warum wollen Sie von der Strom- und Wärmeproduktion mittels innovativer Reaktoren der vierten Generation (beispielsweise Flüssigsalzreaktoren) absehen, dienachweislich keinen langlebigen und toxischen „Atommüll“ mehr erzeugen und sogarvorhandene nukleare Abfälle zur emissionsfreien Energiegewinnung nutzen und dabei vernichten können?
Diese Technik ist interessant, aber ohne enormen staatlichen Forschungs- und Subventionsaufwand auf absehbare Zeit nicht wirtschaftlich. Diesen Aufwand stecken wir derzeit in andere Technologien, die schnelleren und nachhaltigen Erfolg versprechen. Selbst die Atomindustrie setzt zzt. auf Fusionskraftwerke (und damit natürlich erneut auf zentrale statt dezentrale Energieversorgung, an der viele Menschen teilhaben statt wenige Bosse). Erneut die Gegenfrage nach Partikularinteressen bestimmter Industriezweige.
. - Die Menschheit habe sich historisch und regional schon immer angepasst:
Was spricht nach Ihrer Auffassung dagegen, dass Menschen sich dem jeweiligen Klimawandel wie in der Vergangenheit anpassen, was den Schutz vor potentiellen Gefährdungen ebenso beinhaltet, wie die Nutzung entstehender Vorteile?
Das Tempo des Wandels ist mit bisherigen Entwicklungen nicht vergleichbar. Wir haben keine Ahnung, mit welchen Auswirkungen innerhalb von ein, zwei Generation wir es überhaupt zu tun haben werden (Einwanderung fremder Insekten, Umstellung von Ökosystemen in wenigen Jahrzehnten, neue Krankheiten, Wetterextreme, Missernten, Flüchtlinge usw.). Zwar ist die technische Entwicklung heute schneller denn je (Impfstoffe, Deichbau, Landwirtschaft u.v.m.), aber der Aufwand all dessen steht gegenüber der Anstrengung zur Erreichung der Klimaziele in keinem Verhältnis. Hätten wir damit früher oder konsequenter angefangen, stünden wir heute besser da.
. - Die Erwärmung der Erde habe auch Vorteile:
Welche Vorteile der Klimaerwärmung haben Sie bislang in Ihre Abwägungen einbezogen und wie gewichten sie diese im Verhältnis zu Ihren Bestrebungen, der Klimaerwärmung zu begegnen?
Vor- und Nachteile sind längst nicht in allen Details absehbar. Unumstritten ist aber, dass bei einer ungebremsten Entwicklung diverse Folgen unkontrollierbar und verheerend wären. Schon heute sichtbar ist ein Wandel, dessen ungewollte Auswirkungen wir abmildern wollen. Positive Fortschritte der Menschheit werden durch gezielte Maßnahmen besser erreicht als durch eine unübersehbare Erderwärmung.
. - dazu:
Können Sie ausschließen, dass der von Ihnen politisch induzierte „Klimaschutz“ ökonomisch und gesellschaftlich mehr Schaden anrichtet, als es ein Klimawandel je könnte?
Ja. Siehe oben.
. - dazu:
Halten Sie es für ausgeschlossen, dass der Klimawandel mitsamt menschlicher Anpassungsmaßnahmen an veränderte Bedingungen die Lebensumstände vieler Menschen ganz erheblich verbessert?
„Viele Menschen“ ist relativ und negative Auswirkungen auf eine große Mehrheit wirken sich indirekt (über soziale Verelendung, Entwurzelung, Kriminalität, Fanatismus usw.) auf alle aus. Insgesamt muss von höchst unerwünschten Effekten ausgegangen werden.
. - dazu:
Halten Sie es im ethischen und verfassungsrechtlichen Sinne für verhältnismäßig, die gewachsenen organisatorischen Strukturen einer gesamten Gesellschaft aufgrund einer bislang weder empirisch erhärteten, noch gar verbindlich bewiesenen Modellhypothese wesentlich umzubauen, wenn die Folgen dieses Umbaus für gegenwärtige und künftige Generationen Ihrerseits nicht verlässlich abschätzbar sind?
Wieder führen Sie Ihre bewusst falschen Prämissen an. Wir haben lange genug auf böswillig parteiische oder einfach skeptische Stimmen gehört – die Evidenz ist überwältigend. Das wird inzwischen von allen relevanten Playern anerkannt. Insofern wäre es absolut unverantwortlich nicht auf einen entschlossenen, zukunftsfähigen und sozialverträglichen Umbau der Energiewirtschaft hinzuwirken (also nicht „der Strukturen einer gesamten Gesellschaft“, wie Sie schreiben).
Noch ein Wort zu dem von Ihnen benutzten Aufmacher-Foto von einem Milan, der vom Rotor einer Windkraftanlage erschlagen wurde:
Naturschutz ist ein legitimes Anliegen und es ist legitim, mit Emotionen für eine gute Sache zu werben. Die von den fossilen Energieträgern verursachten „konventionellen“ Umweltschäden (Ölpesten, Abbaggern von Landschaften, Absenkungen durch alte Flöze, nuklear versuchte Regionen u.v.m.) stehen in keinem Verhältnis zu denen durch Erneuerbare Energien. Stromspeichertechniken werden auch in Bezug auf Umweltaspekte weiter entwickelt, es gibt da vielversprechende Konzepte. Dezentrale Erzeugung spart Transportwege usw. Auch Vögel leiden in viel größerem Umfang an Insektensterben, Fensterscheiben, Autoverkehr usw., von künftigen Klimafolgen gar nicht zu reden. Das Foto vor diesem Hintergrund einzusetzen, ist irreführend und unredlich – wie Ihre ganze Kampagne.
Wer trollt hier wen?
https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/378/publikationen/energieziel_2050.pdf
„/ 16Da die Modellierung in erster Linie die technische Realisierbarkeit des sukzes-siven Umbaus der Energieversorgung darstellt, bedarf es nur weniger, zentra-ler Rahmendaten für das Zieljahr 2050. Grundsätzlich gehen wir davon aus, dass die gesellschaftlichen Realitäten sich bis 2050 nicht grundlegend ändern, sondern sich der bisherige Lebensstil sowie die heutigen Konsum- und Verhal-tensmuster fortsetzen und Deutschland ein hochentwickeltes Industrieland bleibt. Wir möchten mit diesen Annahmen bewusst plausibel machen, wie eine erneuerbare Stromversorgung auch mit der heutigen Wirtschaftsstruktur und dem heutigen Lebensstil realisiert werden kann. Das Nutzungsverhalten von sogenannten Energiedienstleistungen, beispielsweise das Herbeiführen einer gewünschten Raumtemperatur oder bestimmte Mobilitätsansprüche, werden gegenüber heute nicht verändert. Insgesamt gehen wir in unserer Modellierung von einer gleichbleibenden Bedürfnishaltung und vom Einsatz der besten heute am Markt verfügbaren Technik aus.Die in der Modellierung genutzten Daten basieren auf den Rahmendaten des Referenzszenarios von Prognos29, da sie eine plausible wirtschaftliche und demo-grafische Gesamtentwicklung abbilden.2.1 Demografische EntwicklungDeutschlands Bevölkerung nimmt seit 2003 ab, dieser Trend wird laut WWF-Stu-die anhalten und sich ab dem Jahr 2030 sogar beschleunigen. Die Bevölkerung wird sich verringern von rund 82,5 Millionen Einwohnern im Jahr 2005 um etwas mehr als 10 Millionen auf 72,2 Millionen Einwohner im Jahr 205030. Die Zahlen der WWF-Studie orientieren sich an der Variante 1 der 11. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung des Statistischen Bundesamtes von 2006. Ange-nommen wird:eine annähernd konstante Geburtenhäufigkeit von 1,4 Kindern je Frau,ein moderater Anstieg der Lebenserwartung und eine jährliche Nettozuwanderung, die bei durchschnittlich 150.000 Personen pro Jahr liegt31. Die Entwicklung der Wohnfläche und die des Energieverbrauchs sind in Kapitel 3.2 beschrieben.“